Naturwissenschaftlicher Unterricht beginnt auf Waldorfschulen nicht in der Mittel- oder gar erst in der Oberstufe sondern schon in der ersten Klasse, weil schon vom ersten Unterrichtstag an eine vielfältige Verbindung mit dem gesucht wird, was später wissenschaftlich durchdrungen und erforscht werden soll: Nämlich der Natur selber. Gemeint ist hier auch nicht nur die äußerliche Natur, die uns Menschen umgibt, sondern natürlich auch die Natur des Menschen selber.
Ein ganzheitlicher Ansatz also, bei dem wir letztlich auch uns selbst als teilnehmendes, mitwirkendes und Verantwortung tragendes Wesen begreifen können.
Einer der wichtigsten Grundsätze der Waldorfpädagogik ist es, den Unterricht so aufzubauen, dass er altersstufengerecht ist. Das heißt, aus der Sicht von Waldorfpädagogen macht es wenig Sinn, Kinder schon in der Unterstufe oder gar schon im Kindergartenalter naturwissenschaftliche Experimente ausführen zu lassen. Auf Waldorfschulen beginnt der wissenschaftliche Teil dagegen erst in der oberen Mittel- und Oberstufe.
Vorangegangen sind, und das ist das Entscheidende, ganz andere Auseinandersetzungen und Verbindungen mit der Natur um uns und in uns. Die Kinder erleben in einem breiten Spektrum an künstlerischen, spielerischen, handwerklichen und mentalen Betätigungen und Fächern sich selbst und ihre Umwelt mit ihren Sinnen und entwickeln daran Seelen- und Erkenntniskräfte, die ihnen bei der späteren Durchdringung schwieriger naturwissenschaftlicher Inhalte helfen können.
Im naturwissenschaftlichen Unterricht der Mittel- und Oberstufe gilt es daran anzuknüpfen und dem Bedürfnis der Kinder nach Erlebnissen und aussagekräftigen Bildern entgegen zu kommen, bei denen sie sich selbst und den ihnen zugänglichen Erfahrungsbereich Schritt für Schritt mit dem verbinden können, was Generationen von weisen Menschen vor ihnen an Wissen und klugen Erkenntnissen aufgehäuft haben.
Wie heilsam ist es, wenn man in der Menschenkundeepoche der achten und neunten Klasse die pubertären Wachstumsvorgänge (das Schließen der Wachstumsfuge) am eigenen Körper nachvollziehen und erleben kann; oder im Chemieunterricht entdeckt, dass die Kalkgebirge und die Knochen und Zähne in unserem Körper aus den gleichen Substanzen und auf ähnliche Weise entstanden sind.
Wissen ist nur dann und für den etwas wert, der es sich zu eigen machen kann und es damit zu lebendigem Wissen macht. Wissen, dass zum Beispiel im möglichst frühzeitigen Erlernen der chemischen Formelsprache und im Umgang mit Reaktionsgleichungen besteht (wird in der Waldorfschule erst ab der zehnten Klasse eingeführt), kann erst von älteren jungen Menschen verstanden werden und selbst bei diesen nur mit viel Mühe.