Nie ganz weg
Der Künstlerische Abschluss und die Verabschiedung der 11. Klasse
Leander, pack das Handy weg! Weg jetzt! Zum wiederholten Mal stampft der Lehrer durch den Raum und kassiert ein Smartphone ein.
Es kommt auf den Stapel, der sich auf seinem Pult türmt. Derweilen fährt Clemens mit seinem Referat über Hühner fort. Hühner, so führt er aus, bitte nicht mit Wasser versorgen. Denn Wasser bestünde ja aus einem durchsichtigen Stoff und die Tiere könnten davon selbst durchsichtig werden. Das sei mit erheblichen Verletzungsrisiken verbunden ... Seine Stimme geht in einem Dröhnen unter. Lehrer Winkelmann stürzt zur hinteren Reihe und sichert die dicke Lautsprecherbox, der gerade angesprungen ist. Die Gunst der Ablenkung nutzt jemand in der ersten Reihe, um ein Handy vom Stapel zurückzunehmen. Clemens führt aus, dass man Hühner aus gesundheitlichen Gründen immer auf den Kopf drehen sollte, wenn sie auf der Stange sitzen. Jade wird es zu viel: Die armen Hühner! Schreiend, weinend, schluchzend stürmt sie zur Tür. Wissenschaftlich fundiert wird das Referat fortgesetzt: Carla lobt den Vortrag am Ende in höchsten Tönen. Super sei schon der gekonnte Einsatz des Bildmaterials gewesen: Zu sehen war zum Beispiel der Vierzig-Kubikmeter-Fuß des Ur-Huhns. Ein Blick auf die Uhr überzeugt derweil eine Schülerin, dass die Stunde um sei, und alle springen auf. Hey! Der Lehrer beendet die Stunde! Herr Winkelmanns Stimme überschlägt sich. Dann sinkt er an seinem Pult zusammen. Carla, die letzte verbliebene Schülerin, meldet sich eifrig. Ja, Carla? – Darf ich auch gehen? – Ja … ja … Der Sketsch ist einer der Höhepunkte des Künstlerischen Abschlusses der 11. Klasse am 15. Juni. Ausgesprochen satirisch geht es diesmal zu: Gekonnt werden Loriot-Klassiker zum Besten geben: „Ich will einfach nur hier sitzen!“ und der Saugbläser-Heinzelmann. Szenen aus „Arsen und Spitzenhäubchen”, rahmen die Vorführungen zu Anfang und Ende ein. Die Klasse erinnert damit an ihr Achtklass-Stück 2019, eines der letzten große Bühnenprogramme vor der Corona-Zeit. Dass diese Zeit, mit ihrer Isolation und Distanzierung, für die Klasse keine einfache war, wird auch zur Entlassungsfeier, zwei Tage später, rückblickend festgestellt. Trotzdem bringt sie jetzt viel gemeinsam auf die Bühne, so ein riesiges abstraktes Gemälde, das vor den Zuschauern entsteht: Mit jedem Pinselstrich stellen sich die Schülerinnen und Schüler dabei ihren Ängste, Problemen und Vorstellungen, indem sie diese aussprechen. Darüber hinaus gibt es gute Solo-Musik: Clemens am Klavier, Joshua am Schlagzeug, bei der Entlassfeier auch Carla auf der Querflöte. Einmal stehen sie alle da und singen. Und so werden sie auch verabschiedet. Sandra Batkowski spielt am 17. Juni Klavier, erzählt in ihrem Lied davon, dass ein Kind eines Tages ohne Eltern fortzieht. Das Klassenbetreuer-Team, Silke Günther und Alvydas Maksimowas, verliest für jede und jeden kleine selbstgeschriebene Sprüche, die zum jeweiligen Charakter passen. Alle verraten auch kurz, was ihre nächsten Stationen sein werden – Ausbildung, anschließende Schulen oder freiwilliges soziales Jahr. Die Gelegenheit nutzt Michel für eine Botschaft an seine Mutter: „Mama, ich werde niemals ganz weg sein!“, versichert er ihr.
Benjamin Weiß (Lehrer, Redakteur)
Fotos: Johannes Kalsow